Ich habe mich daran gewöhnt, seit Anfang März fast ausschließlich online zu arbeiten und meine vielen Begegnungen mit Menschen coronaregelkonform umzuwandeln, was sehr gut klappt.
Vor zwei Wochen hatte ich in einem Unternehmen einen ganz besonderen Präsenz-Workshop (ausnahmsweise einer von 3 Terminen seit März, der nicht virtuell umgeplant wurde), der mich sehr berührt hat. Die 9 Teilnehmerinnen schienen alle ausgehungert zu sein nach Nähe, nach Verständnis, nach einem Gefühl von „miteinander“. Das zeigte sich schon in der Vorstellrunde, die sehr, sehr persönlich wurde und in der alle direkt zum Punkt kamen: Sie verrieten, wie es ihnen wirklich geht, was sie fühlen, was sie verängstigt, was sie erheitert und was sie motiviert. Unser zweitägiger Austausch (mit viel Abstand in einem großen Raum, den wir gut lüften konnten und während langer Spaziergänge in der Umgebung) war unglaublich intensiv, persönlich und dadurch sehr hilfreich. Unser Workshop sollte am zweiten Tag um 17:00 Uhr zu Ende sein, um allen Müttern Gelegenheit zu geben, rechtzeitig wieder bei ihren Familien zu sein. Deshalb begann ich um 16:00 Uhr mit einer Feedbackrunde. Und dann passierte etwas, was ich noch nie zuvor erlebt habe: Bis weit nach 18:30 Uhr blieben alle da und hatten ein großes Bedürfnis, nicht nur mir, sondern auch den Kolleginnen ausgiebig Rückmeldung zu geben. „Was habe ich von Dir gelernt? Warum finde ich Dich großartig? Warum arbeite ich gern mit Dir zusammen? Ich badete voller Genuss in dieser Stimmung von Wohlwollen, Wertschätzung und freundlicher Zugewandtheit. Innerhalb von zwei Tagen flossen einige Tränen: vor Rührung, vor Lachen aber auch in traurigen Momenten.
So etwas bekomme ich in einem Online-Workshop nicht hin. Das ist auch in Ordnung so. Doch ich habe in diesem Workshop gespürt, wie wichtig es für uns alle zu sein scheint, dass wir auch mal „hinspüren“, wie es uns und anderen wirklich geht. Wir können uns gerade nicht physisch nah sein, uns tief in die Augen blicken und dabei intentsive Gespräche führen. Aber wir können versuchen, das ein wenig auszugleichen: Viel häufiger als früher greife ich lieber mal zum Telefonhörer als zur Tastatur, nehme mir bewusst Zeit für konzentrierte Gespräche. Ich schreibe in einer freien Minute mal eine Karte oder einen Brief (von Hand) oder richte einige Worte über eine persönliche Nachricht an meinem Kontakte, wenn sie sich gerade auf LinkedIn oder Facebook zeigen. Wir können gleich mehrere gute Taten auf einmal leisten und Aufmerksamkeiten in Form von Blumen oder Überraschungs-Essen verschicken, um uns in angenehmer Erinnerung zu halten.
Und mit einzelnen Menschen können wir auch mal eine Runde gehen, dabei lassen sich auch schwerere Themen mit wunderbarer Leichtigkeit besprechen. Heute war ich mit meiner Mentee der Hochschule Rosenheim eine Stunde im Wald spazieren. Wir drehten eine Runde auf meinen Lieblingswegen, auf denen ich manchmal auch längere Telefonate mit Kunden führe (die Netzwerverbindung ist hier ausgezeichnet, neuerdings haben wir sogar schon 5 G!).
Nähe heißt: Den anderen wahrnehmen, auf ihn eingehen, sich Zeit nehmen, zuhören, freundlich sein. Das geht, auch ohne dass wir uns gegenseitig ins Gesicht atmen. Wir müssen es uns nur bewusster vornehmen und neue Rituale finden, die zu uns passen.
Wie geht es Euch, in diesen Zeiten? Wie schafft Ihr Nähe zu Menschen, die Euch wichtig sind? Ich freue mich, wenn Ihr hier über einen Kommentar mit mir Verbindung aufnehmen wollt.